Flammender Abgrund - Leseprobe

 


Als David in der folgenden Nacht neben mir im Bett aufschreckte und das Licht anknipste, blinzelte ich verwirrt. »Was ist los?«, fragte ich schläfrig. Ein Blick auf den Wecker verriet mir, dass es zwei Uhr nachts war.

»Ich weiß nicht.« Davids Körper war gespannt, in voller Alarmbereitschaft. Er hatte die Augenbrauen finster zusammengezogen, während er lauschte. »Hast du Ratten im Keller?«

»Natürlich nicht«, entrüstete ich mich.

»Dann ist es vielleicht eine menschliche Ratte.« Er schlug die Decke zurück.

»Ein Einbrecher?« Erschrocken hielt ich den Atem an.

»Möglich. Ich gehe mal nachsehen.« Er nahm eine Taschenlampe und wandte sich zur Tür.

»David?«

»Was ist denn noch?«

»Vielleicht solltest du dir was anziehen.« Trotz der gespannten Stimmung konnte ich ein Kichern nicht unterdrücken. »Wir wollen ja nicht, dass sich der arme Einbrecher zu Tode erschreckt.«

David grummelte vor sich hin, während er hastig in seine Jeans schlüpfte und sich ein T-Shirt über den Kopf zog, ohne sich darum zu kümmern, dass er es verkehrt herum trug.

Ich machte Anstalten, ihm zu folgen, doch er bedeutete mir, im Bett zu bleiben. Atemlos lauschte ich auf jedes kleine Geräusch. Meine Nerven waren zum Zerreißen angespannt. Aber nur mein Wecker unterbrach mit leisem Ticken die bedrohliche Stille. Ich wagte gar nicht, mir auszumalen, was passieren konnte, wenn wirklich ein Einbrecher im Haus war. In den amerikanischen Krimis im Fernsehen ging eine solche Situation selten gut aus. Vor allem nicht für die Bewohner des Hauses. Ich hatte Angst um David. Doch sein Auftreten war weder nervös noch verängstigt gewesen. Er schien zu wissen, was er zu tun hatte und darauf vertraute ich. Langsam entspannte ich mich, als ein Schrei wie ein Peitschenknall durchs Haus schallte, gefolgt von einem lauten Poltern. Erschrocken sprang ich aus dem Bett, griff nach meinem Morgenmantel und stürmte die Treppe hinunter. Eine große Gestalt flüchtete gerade durch die Haustür. David lag am Boden. Ich stürzte auf ihn zu. »David! Ist dir etwas passiert?«

»Nein.« Mein Freund richtete sich auf. »Er hat mir einen Stuhl entgegengeschleudert, sonst hätte ich ihn gekriegt. Verdammter Lump.« David fluchte zornig, aber ich zitterte vor Angst am ganzen Körper.

»Was kann er nur gewollt haben?« Meine Stimme war nur ein raues Flüstern.

»Ein paar Wertgegenstände stehlen, vermute ich.« David nahm mich in die Arme. »Beruhige dich, Jessie. Er ist weg.«

»Hast du ihn gesehen? Ich meine, weißt du, wie er aussah? Vielleicht sollten wir es der Polizei melden.«

»Ich habe ihn sogar genau gesehen.« David berührte stöhnend einen Punkt an seinem Kinn. »Und gespürt auch.«

»Du Armer.« Der Schrecken ließ mich frösteln. Was wäre passiert, wenn David in dieser Nacht nicht bei mir gewesen wäre? Ich wollte gar nicht darüber nachdenken. »Beschreibe ihn mir«, forderte ich ihn auf. »Ich schreibe gleich alles auf, was dir einfällt.«

»Brauchst du nicht. Gib mir das Blatt. Ich zeichne dir ein schönes Bild von ihm.«

»Du kannst zeichnen?« Mein Staunen ließ das Entsetzen ein wenig verebben.

»Ich habe viele Talente. Gärtnern, Kochen, Steckdosen setzen, Einbrechen und auch ein bisschen Malen.« David lächelte mich an, während er ein Gesicht skizzierte. »Deshalb fällt es mir so schwer, mich für etwas zu entscheiden. Könntest du mir ein Glas Wasser holen?«

»Klar, mache ich.« Ich schenkte ein großes Glas Mineralwasser ein und stellte es ihm auf den Tisch. Er reichte mir im Gegenzug das Papier. »Hier, das ist unser Freund. Nicht genau, aber ich glaube, dass es für eine Fahndung reichen könnte.«

Ich nahm das Blatt und starrte es fassungslos an. David konnte wirklich zeichnen. Das Bild, das ich vor mir hatte, wirkte sehr lebendig. Doch das war nicht der Grund, warum sich meine Beine plötzlich anfühlten wie Gummi. Langsam ließ ich mich auf einen Stuhl sinken.

»Was ist los, Jessica?«, fragte David zwischen zwei großen Schlucken. »Du bist auf einmal wieder so blass.«

»Wir brauchen keine Fahndung«, erklärte ich ihm. »Und auch keine Polizei.« Aufseufzend legte ich das Porträt auf den Tisch. »Das ist mein Bruder Marc.«

 

»Was will Marc denn hier?«, fragte Cathy kopfschüttelnd am nächsten Morgen, als sie auf das Porträt starrte, das David von unserem nächtlichen Besucher gezeichnet hatte. Sie wandte sich an mich. »Weiß er, dass du hier bist?«

»Keine Ahnung«, erwiderte ich. »Schon möglich, aber ich kann es mir eigentlich nicht vorstellen. Er hat den Kontakt zu uns fast komplett abgebrochen. Wir hören nur noch zu Weihnachten und dem Geburtstag meiner Mutter von ihm. Ich glaube nicht, dass sie ihn angerufen und informiert hat.«

»Ein Glück, dass David ihn verscheucht hat.« Cathy sah ihn mit einem anzüglichen Blick an. »Da keimt in mir doch die Frage auf, was du mitten in der Nacht bei Jessica zu suchen hattest.«

David und ich sahen uns ratlos an, doch Cathy winkte ab. »Lasst nur, ich kann es mir denken. Und es überrascht mich auch nicht besonders.« Sie studierte wieder das Blatt mit Marcs Konterfei. »Wie ist er ins Haus gekommen?«

»Ganz einfach: durch die Tür. Wir glauben, dass er einen Schlüssel hat.«

»Ja, das wäre denkbar«, nickte Cathy. »Er könnte sich bei seinem letzten Besuch bei Tante Mary einen Nachschlüssel besorgt haben.«

»Möglicherweise war sein Auftauchen hier ganz harmlos«, überlegte ich. »Wenn er einen Schlüssel hat und nicht weiß, dass ich hier bin, dann könnte er das Haus doch einfach als Quartier nutzen, oder? Vielleicht hatte er in der Gegend zu tun und wollte schlichtweg hier übernachten.«

Cathy kaute nachdenklich an ihrer Unterlippe. »Wenn das stimmt, dann dürfte er von Davids Angriff mehr als überrascht worden sein. Wenn er jetzt zur Polizei geht?«

»Das wäre ein schöner Witz.« David lehnte sich bequem zurück und legte die Füße auf den Tisch. Ich warf ihm einen strengen Blick zu. Daraufhin grinste er mich zwar unverschämt an, nahm seine Beine jedoch herunter.

»Na, abwarten«, entschied ich.

Als Cathy gegangen war, teilte ich David mit, dass ich nicht mit zum Grand Canyon fahren würde.

»Wegen Marc?«

»Ja, ich will jetzt nicht weg. Vielleicht kommt er zurück.«

»Gut, warten wir noch einige Tage. Aber dann kommst du mit, ja?« David küsste mich, als es an der Tür klopfte.

 

Ich konnte es nicht glauben. Es stand tatsächlich die Polizei vor der Tür. Die zwei jungen Beamten schienen überrascht zu sein, dass ihnen so selbstverständlich geöffnet wurde. Einer der beiden spannte sich und schien nach einer Waffe greifen zu wollen, doch der andere hielt ihn mit einer mahnenden Geste zurück. Er erklärte uns, dass der Besitzer des Hauses, Marcus Tremaine, Anzeige wegen Einbruchs erstattet hätte, und fragte höflich, aber sehr bestimmt nach dem Grund unserer Anwesenheit. David stieß einen deftigen Fluch aus, während ich die Polizisten nur mit großen Augen anstarrte. Für einen Moment war mein Herz vor Schreck bis in den Keller gerutscht und obwohl ich wusste, dass ich im Recht war, konnte ich meine Aufregung nur schwer unterdrücken.

»Es tut mir leid, meine Herren, aber ich fürchte, Mr. Tremaine befindet sich da im Irrtum«, begann ich mit fester Stimme und war froh, dass man mir mein Zittern nicht anhörte. »Die frühere Besitzerin, Mary Tremaine, war meine Großtante und hat dieses Haus mir vermacht. Marcus Tremaine, mein Bruder, wollte das nie akzeptieren und ich nehme an, er weiß nichts von meiner Anwesenheit hier.«

Die beiden Polizisten musterten mich skeptisch. »Können Sie das beweisen?«

»Natürlich. Einen Moment bitte.«

Mein Herz klopfte immer noch ungewöhnlich heftig, als ich nach oben lief und in meiner Tasche wühlte. Ich schickte einen lautlosen, aber innigen Dank an Richey, der darauf bestanden hatte, dass ich alle notariellen Papiere und Urkunden mitnahm. Als ich wieder nach unten ging, sah ich, dass David die Beamten inzwischen hereingebeten hatte und ihnen erzählte, wie wir in der Nacht erwacht waren und in Marc einen Einbrecher vermutet hatten.

»Mr. Hanford kannte meinen Bruder bisher noch nicht und ich kam erst nach Ablauf der Geschehnisse ins Zimmer«, fügte ich erklärend hinzu.

Die zwei Beamten prüften meine Dokumente, ließen sich unsere Ausweise zeigen und verabschiedeten sich dann mit einer Entschuldigung und der Versicherung, dass alles in Ordnung wäre und sie dieses an Marc weitergeben würden.

David stieß laut die Luft aus, als er dem Polizeiwagen nachsah. »Oh Mann, das war vielleicht ein Spaß«, grinste er.

»Findest du?« Meine Knie waren plötzlich ganz weich. »So spaßig fand ich es nicht. Stell dir nur vor, ich hätte nicht beweisen können, dass das Haus mir gehört.«

»Ach, dann wäre mir auch etwas eingefallen«, gab David leichthin zur Antwort. »Ich habe noch einige Tricks auf Lager.« Er lachte übermütig, umfasste mich mit den Armen und hob mich hoch. »Aber du hast die armen Kerle schon allein mit deiner geschraubten Sprache aus dem Konzept gebracht. Nach Ablauf der Geschehnisse, oh Mann.«

»Und du mit deiner Flucherei«, konterte ich.

»War vielleicht nicht gerade taktisch klug«, räumte David ein, »aber durchaus angemessen. Dein Bruder ist abgebrühter, als ich gedacht hatte. Uns einfach die Bullen auf den Hals zu schicken und zu behaupten, dass es sein Haus ist. Dazu gehört schon was. Na, der wird sich wundern, wenn die Polizei ihm von uns berichtet.« Er lachte glucksend in sich hinein, während er seine Hände schon wieder auf Wanderschaft gehen ließ.

 

»Glaubst du, er kommt wieder?«

David saß im Bett und beobachtete mich beim Ausziehen. »Soll er doch«, brummte er. »Ich freue mich schon darauf.«

Ich zog mein langes T-Shirt mit dem AC/DC-Motiv auf der Vorderseite bis auf die Schenkel hinunter, wohl wissend, dass David es nicht lange an seinem Platz lassen würde. Dann kuschelte ich mich eng an ihn. Ganz wohl war mir bei dem Gedanken nicht, dass Marc möglicherweise wiederkam. Es war ein beunruhigendes Gefühl, dass er einen Schlüssel zu meinem Haus besaß. Wie zur Bestätigung meiner Befürchtungen begann es in der Ferne dumpf zu grollen.

David hob den Kopf. »Ein Gewitter. Hoffentlich kommt mal ein bisschen Regen. Wäre wirklich nötig.«

Es war eine seltsame Atmosphäre. Während wir uns liebten, kam das Gewitter immer näher und begleitete uns mit gewaltigen Donnerschlägen. Bei einem besonders lauten Krachen ging das Licht aus. Mit einem Schrei fuhr ich hoch.

»Alles in Ordnung, mein Schatz«, beruhigte David mich. »Wahrscheinlich hat ein Blitz die Stromversorgung lahmgelegt. Kein Grund zur Sorge.«

»Ich bin nur von dem Schlag erschrocken.« Nackt wie ich war, trat ich ans Fenster und beobachtete das Spektakel. Blitz um Blitz zuckte über den schwarzen Himmel und erleuchtete die Wolken, die drohend über dem Land lagen. David trat hinter mich und schlang seine Arme um mich, während dicke Regentropfen an der Scheibe zerplatzten.

»Als ich klein war, habe ich mich immer vor Gewittern gefürchtet«, gestand ich. »Marc prophezeite mir ständig, dass der nächste Blitz ganz sicher unser Haus treffen würde. Ich bin dann meistens zu Chris ins Bett gekrochen, und er hat mich getröstet.«

»Ich bin also nicht der erste Mann, bei dem du im Bett liegst?«

»Wenn ich mich richtig erinnere, liegst du eher in meinem«, korrigierte ich und schmiegte mich an ihn.

»Erzähl mir von deinem Freund«, bat er mich.

»Jetzt?«, fragte ich überrascht. Dann zuckte ich mit den Schultern. »Da gibt es nicht viel zu erzählen. Ich lernte ihn kennen, als ich neunznd verliebte mich bis über beide Ohren in ihn. Dachte ich zumindest. Wir waren vier Jahre zusammen. Ich plante unsere Hochzeit und mir fiel gar nicht auf, dass er zu diesen Plänen gar nichts sagte. Und dann war Schluss. Ich erwischte ihn mit einer Anderen und wir trennten uns im Streit. Seitdem bin ich solo.«

»Jetzt nicht mehr«, murmelte David an meinem Hals.

»Nein, aber unsere Beziehung hat keine Zukunft.«

»Möchtest du nicht hierbleiben?«

»In Amerika?« Der Gedanke war so neu für mich, dass ich David erstaunt ansah. Es war für mich immer klar gewesen, dass dies nur ein kurzer Besuch war und ich bald wieder nach Deutschland zurückkehren würde. Aber was wartete dort auf mich? Ich hatte keine Arbeit, keinen Mann, der mich zurückerwartete, nur meine Familie und einige Freunde. Ich beschloss, die Idee, dass ich mein Leben radikal ändern und in die USA übersiedeln konnte, nicht sofort zu verwerfen. Noch wurde ja keine Entscheidung von mir verlangt.

Das Gewitter verzog sich, aber der Regen steigerte sich zu einem harten Staccato. »Komm wieder ins Bett«, flüsterte David hinter mir. »Es wird langsam ungemütlich.« Ich drehte mich gerade zu ihm um, als wir es hörten. Ein schabendes Geräusch kam von unten. Ich erschrak. Es konnte doch nicht wahr sein! Sollte Marc es wirklich wagen? Unverfroren genug war er sicherlich. Mir stockte der Atem. Auch wenn es nur mein Bruder war, kroch eine kalte Angst in mir hoch.

Davids Miene nahm einen grimmig entschlossenen Ausdruck an. Im Flackern eines Blitzes schimmerten seine Augen eiskalt. Er knipste seine Taschenlampe an, schlüpfte in seine Jeans und ging dann zu seiner Seite des Bettes, um ein Päckchen aus dem Nachttisch zu holen, das er nachmittags hineingelegt hatte. Mir blieb vor Schreck der Mund offen stehen, als ich in dem fahlen Lichtschein sah, was er da auswickelte.

»David«, flüsterte ich heiser. »Was willst du denn mit einer Pistole?«

»Ist manchmal ganz nützlich, wenn man so durch die Gegend zieht«, brummte er grimmig und begann, den Revolver zu laden.

»Du spinnst wohl?«, fuhr ich ihn an. »Leg das Ding weg.«

»Dein Bruder ist nicht ganz ungefährlich.«

»So ein hirnrissiger Quatsch! Marc ist vielleicht nicht gerade ein umgänglicher Typ, aber doch nicht gefährlich. Wehe, wenn du anfängst, hier im Haus herumzuballern wie ein verkappter Wild-West-Sheriff.« Ich war wütend und dabei völlig fassungslos über Davids Kaltblütigkeit. Diese Reaktion war absolut übertrieben. Amerikaner hatten vielleicht eine gesteigerte Affinität zu Waffen, aber ich würde das nicht erlauben. Ich hielt seinen Arm krampfhaft umklammert, bis er einlenkte.

»Gut, weil du es bist. Aber mein Messer nehme ich mit. Er ist selber schuld, wenn er was abkriegt.«

Stumm und mit gemischten Gefühlen sah ich zu, wie er sich das lange Fahrtenmesser an seinen Gürtel schnallte. Ich sah hier einen völlig veränderten David. Er hatte die Kiefer fest zusammengepresst und im Licht der Taschenlampe wirkten seine Augen kalt und erbarmungslos. Die Entschlossenheit in seinem Gesicht machte mir mehr Angst als der Gedanke an Marc.

»Du bleibst hier«, befahl er mir, als ich nach meinem Bademantel griff.

»Aber ich …«

»Bitte Jessica«, schnitt er mir das Wort ab. »Ich weiß, er ist dein Bruder, aber ich bin sehr vorsichtig mit Leuten, die mitten in der Nacht bei anderen einbrechen. Bruder hin oder her, ich will, dass du hier bleibst.«

Ich nickte, doch ich dachte nicht daran, mich zu fügen. Wenn wirklich Marc hier umhergeisterte, war es meine Sache, ihm die Tür zu weisen. Mit Davids aggressiver Methode war ich nicht einverstanden. Und wenn ich noch so viel Angst vor einer Konfrontation hatte, mit meinem Bruder konnte ich gut allein fertig werden.

Automatisch drückte ich auf den Lichtschalter und stöhnte, als nichts geschah und ich nach wie vor in absoluter Dunkelheit stand. Als ich tastend um die Ecke bog und vorsichtig meinen Fuß auf die erste Treppenstufe setzte, sah ich das Licht von Davids Taschenlampe unter mir suchend umherhuschen. Plötzlich fiel der schwache Schimmer auf eine große Gestalt. Keinen Sekundenbruchteil später klapperte die Lampe auf den Boden und erlosch, als David sich auf den Mann stürzte. Ich schlug mir beide Hände vor den Mund, um nicht laut aufzuschreien.

Vergeblich versuchte ich, das Dunkel zu durchdringen. Ich wollte wissen, was da unter mir vor sich ging. Marc hatte wirklich Nerven, hier noch einmal aufzutauchen. Hoffentlich ließ David sich nicht zu unnötigen Gewaltakten hinreißen.

Stufe für Stufe tastete ich mich nach unten. Ein Stuhl fiel scheppernd um. Ein Mann stöhnte. Wo war nur das verdammte Licht? Es machte mich wahnsinnig, dass ich nichts sehen konnte und nur bedrohliche Geräusche hörte. Als jedoch die Deckenlampe unvermittelt direkt über mir aufleuchtete und alles in gleißendes Licht tauchte, erschrak ich derart, dass ich für einen Moment die Augen schloss. Als ich sie wieder öffnete, glaubte ich, Eiswasser würde durch meine Adern rinnen. Fassungslos starrte ich auf die kämpfenden Männer vor mir. Die Szene wirkte wie eingefroren, ich sah nur das Messer in Davids Hand, mit dem er blitzschnell auf seinen unter ihm liegenden Gegner einstach. Ich konnte den Mann nicht sehen, doch sein Schmerzensschrei ließ mich erstarren. Diese Stimme kannte ich nur allzu gut. Mein eigener Schrei, der mir laut und unnatürlich schrill in den Ohren gellte, riss David auf die Beine. Schwer atmend sah er mich an, das blutige Messer in der Hand, während sich sein Opfer stöhnend auf dem Boden wälzte. Davids Unterlippe war aufgeplatzt und blutete. Doch ich empfand kein Mitleid mit ihm. Im Gegenteil. Ich stürzte die restlichen Stufen hinunter und stieß ihn grob beiseite, als ich mich neben meinem Bruder auf die Knie fallen ließ.

»Chris! Verdammt noch mal, was tust du denn hier?«